Wie du jede Prüfungssituation erfolgreich bestehst – auch zum MW
Du hast dich über Monate auf deine Prüfung vorbereitet. Du hast viel gelernt und verkostet. Du hast dich an meine Regeln zur Prüfungsvorbereitung gehalten, die ich dir in meinem letzten Blogbeitrag empfohlen habe. Dann ist es soweit. Der Prüfungstag ist da. Und alles ist anders. Du kannst die Leistung, dein Potenzial nicht abrufen. Du hast Panik, die Uhr tickt und am Ende wirst du nicht fertig. Game over.
Kommt dir das bekannt vor? Mir ist genau das im Laufe meiner Reise zum Master of Wine passiert. Damals ist mir klar geworden, dass ich – wie früher im Leistungssport – genauso viel Augenmerk auf die Prüfungssituation legen muss, wie auf meine inhaltliche Vorbereitung. Gewinnen ist eben zu einem großen Teil auch Kopfsache – im Sport wie in der Weinprüfung.
Aufbauend auf diesen Erfahrungen habe ich die folgenden sieben Regeln entwickelt, wie ich mit Prüfungssituationen umgehe. Diese Erfahrungen möchte ich an dich weitergeben.
Regel 1: Achte auf ausreichend Schlaf, gute Ernährung und Ausdauer.
Novak Djokovic tut es und auch Lewis Hamilton. Viele Spitzensportler haben ihren Schlaf und ihre Ernährung perfektioniert, um Höchstleistung zu bringen. Das ist auch deine Basis dafür, dass du deine Leistung abrufen kannst. Ausgehungert und mit nur ein paar Stunden Schlaf zur Prüfung anzutreten, das kann und wird in vielen Fällen auch bei uns Normalmenschen nicht funktionieren.
Lege deshalb den Lernstoff früher weg und nutze Zeit die Nacht vor der Prüfung zum Ruhen, auch wenn es angesichts der anstehenden Aufgaben und vermeintlicher Wissenslücken schwerfällt. Ich benutze am Vorabend eines wichtigen Termins zusätzlich eine Brille mit speziellem Blaulichtfilter, um für einen besseren Schlaf kurzwelliges, wachmachendes UV-Licht abzublocken. Außerdem höre ich entspannende binaurale Musik, die mich zusätzlich zur Ruhe kommen lässt.
Um volle Leistung bringen zu können, braucht unser Gehirn natürlich nicht nur genügend Ruhe, sondern vor allem auch Sauerstoff, Kohlenhydrate, Mineralien und Vitamine. Sport fördert die Durchblutung und Ausdauer und erhöht die Denkfähigkeit ebenso wie Vollkornprodukte, Gemüse und Nüsse. Auch das Trinken nicht vergessen. Wasser hält das Blut flüssig, das wiederum unser Gehirn mit Nährstoffen versorgt. Studien haben gezeigt, dass bereits ein Flüssigkeitsdefizit von 1-2% die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Regel 2: Kontrolliere deine Emotionen.
Wir sind evolutionsbiologisch zwar auf den Kampf mit dem Säbelzahntiger ausgerichtet, aber leider nicht auf das Bestehen von Weinprüfungen. Unser Körper interpretiert Tiger und Prüfung gleichermaßen als Gefahr. Stresshormone treiben unseren Puls nach oben, dämpfen unsere Wahrnehmungen und fokussieren uns auf Kampf oder Flucht. Das hilft dem Tiger zu entkommen, aber nicht Sauvignon Blanc von Chenin Blanc zu unterscheiden. Abschalten kannst du diese Reflexe nicht vollständig. Das ist auch gut so, denn in vielen Fällen sichern sie tatsächlich unser Überleben.
Akzeptiere sie deshalb als Teil von dir, aber nutze und kontrolliere sie – anstatt dich von ihnen beherrschen zu lassen. Werde wach und fokussiert, aber nicht gehetzt und panisch. Leichter gesagt als getan? Ich habe mir dafür verschiedene Strategien angeeignet, die aus dem Spitzensport stammen. Ganz wichtig ist dabei der „Tunnel“.
Regel 3: Begib dich in deinen Tunnel.
Jeder kennt die Bilder aus dem Fernsehen, wie die Formel-1 Fahrer vor dem Rennen konzentriert ihre Overalls schließen, die Handschuhe und Helm überziehen, sich ins Auto gleiten lassen und das Lenkrad aufstecken. Jeder Handgriff ist dabei Teil einer einstudierten, immer wiederkehrenden Routine. Der Fahrer begibt sich in seinen „Tunnel“, der Stress abbaut und den Fokus erhöht.
Ich habe mir für meine MW-Prüfungen meinen eigenen, ganz persönlichen Tunnel eingerichtet. Am Tag vor der Prüfung habe ich mir die Location angeschaut, um die Situation schon einmal in mich aufzunehmen. Am Morgen habe ich dann die Tasche überprüft, bin mit ausreichend Zeitpolster denselben Weg zum Prüfungsort gelaufen, habe mir „meine“ Musik aufs Ohr gelegt (Anton Dvoraks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ der Berliner Philharmoniker von 1964).
Vor Betreten des Raumes die Arme in Siegerpose über den Kopf gereckt, weil die Körperhaltung ebenfalls das Mindset beeinflusst. Das mag seltsam klingen, funktioniert aber hervorragend. Am Tisch dann die Gläser, Stifte, den Computer und die Zeituhr ebenfalls in bestimmter Abfolge aufgestellt. Noch einmal konzentriert eine Minute bewusstes Ein- und Ausatmen. Und dann ging´s los.
Regel 4: Rufe Deine Szenarien ab.
Du gerätst manchmal mitten in Prüfungssituationen in Panik, weil die Dinge nicht so laufen, wie du sie dir vorgestellt hast? Du kommst mit einer Frage, mit einem Weinflight nicht zurecht oder dein Computer stürzt dir ab – so wie es mir in einer meiner praktischen Prüfungen einmal passiert ist.
Mach dir klar, Du wirst wahrscheinlich nie die idealen Bedingungen in einer Prüfung oder anderen wichtigen Situation vorfinden. Es werden immer Dinge schiefgehen. Aber: Du kannst lernen, damit umzugehen. Konfrontiere dich mit deinen Ängsten. Aber nicht erst in der Prüfung, sondern in deiner Vorbereitung. Spiele im Kopf alle Situationen durch, die in der Prüfung passieren können.
Entwickle Szenarien, wie du im Best- und im Worst-Case damit umgehen wirst. Zum einen reduziert das langfristig deine Ängste, weil du dich ihnen aktiv stellst. Und zum anderen weißt du, was zu tun ist, wenn der Fall tatsächlich eintritt. Du rufst dann deine gelernten Szenarien ab. Nichts anderes tun Piloten in Notsituationen, um ihre Maschine wieder heil auf den Boden zu bekommen
Regel 5: Aufgeben gilt nicht.
Wenn es in deiner Prüfung für dich richtig schlecht läuft und du aufgeben willst, denke an Brett Archibald. Er war 2013 während einer Surfreise vor Indonesien über Bord gegangen. 28 Stunden trieb er ohne Hilfsmittel und Schwimmweste auf dem Meer umgeben von Haien. Dann wurde er gerettet. Das zeigt: Auch wenn die Situation aussichtslos scheint, Aufgeben ist keine Option. Es geht immer irgendwie weiter. Wenn Du etwas nicht weißt, einen Wein nicht identifizieren kannst oder was auch immer nicht klappt. Verschwende keine wertvolle Zeit und Energie. Gehe zum nächsten Wein, zur nächsten Frage, die du beantworten kannst. Der Wein öffnet sich vielleicht später, du findest doch einen Ansatz die Frage zu beantworten oder hast wenigstens alles gegeben.
Regel 6: Blick nach vorne nicht zurück.
Wenn etwas nicht so läuft, wie du es dir vorstellst, blicke nie zurück, sondern immer nach vorne. Ärgere dich beispielsweise nicht darüber, dass du einen Teil der Prüfung nicht so gelöst hast, wie du es dir vorgestellt hast. Das Geschehene ist, kannst du nicht ändern, das was vor dir liegt schon. Das ist insbesondere bei Prüfungen wichtig, die über mehrere Tage gehen, wie beispielsweise beim Master of Wine Examen. Mir hat es immer zu schaffen gemacht, konzentriert in die nächsten Abschnitte zu gehen, wenn ich Gefühl hatte, bereits am ersten Tag „versagt“ zu haben. Echte Champions zeichnet aber genau das aus, ein Spiel aus der Defensive heraus noch einmal zu drehen.
Regel 7: Sorgfalt und Zeitmanagement sind Trumpf.
Auch wenn deine Nervosität und der Zeitdruck enorm hoch sind – Sorgfalt und Zeitmanagement sind entscheidend für deinen Erfolg. Lies alle Fragen und Anmerkungen zu Beginn sorgfältig und achte auf dein Zeitbudget. Wenn es für eine Antwort 20 Punkte gibt, versuche nicht 25 Punkte zu holen und dann am Ende nicht fertig zu werden. Ich habe mir einen Timer mit zwei Zeitskalen für 10 Euro bei einem Online-Händler angeschafft – eine zählt hoch, die andere herunter. Eines meiner besten Investments. Denn leere Seiten abzugeben ist der „Worst-Case“ in jeder Prüfung dieser Welt. Du kannst ja auch ein Formel-1 Rennen nur gewinnen, wenn Du über die Ziellinie fährst.