In meinem letzten Blogbeitrag habe ich beschrieben, was meine Resilienz in Krisenzeiten gestärkt hat. Auf einige der wesentlichen Faktoren gehe ich in meinen nächsten Beiträgen ein. Los geht´s mit etwas ganz Grundsätzlichem. Und das hat ganz viel mit Ostern zu tun.
Annehmen statt Ausflüchte
„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Dieses bekannte Zitat des amerikanischen Theologen und Philosophen Reinhold Niebuhr ist eines meiner wesentlichen Lebensprinzipien geworden. Es leitet mich durch Krisen, lässt mich Herausforderungen angehen und öffnet mir den Blick auf Chancen.
Krisen einfach annehmen? Das mögen einige, die sich derzeit in einer existentiellen Krise befinden, nicht nachvollziehen können. Ganz ehrlich: Ich habe auch nicht immer so gedacht. Eine schwierige Situation und erst recht eine wirkliche Krise erst einmal anzunehmen, sich auf sie einzulassen, das schien mir lange unmöglich. Ich habe praktisch keinen Stillstand gekannt und konnte nur schwer das Steuerrad aus der Hand geben. Schwierige Situationen habe ich oft ausgeblendet und durch Tempo kompensiert. Mein Prinzip lautete, je mehr Vollgas desto besser. Auf dem Hoover-Damm mit meinem Team einen Weltrekord im Guinness-Book of Records zu holen, parallel für die Master of Wine Prüfung zu lernen und noch für einen Marathon zu trainieren. Das alles schien kein Problem für mich. Wer mich länger kennt, weiß, was wovon ich rede.
Konfrontation mit dem Worst-Case
Und dann habe ich es doch lernen müssen, Dinge geschehen zu lassen. Weil ich sie nicht ändern konnte. Damals vor einigen Jahren. Als sich meine Abgeschlagenheit eben nicht als Folge von Stress oder zu viel Reisen und Sport entpuppt hat. Sondern als der real gewordene Worst-Case. Der Laser, der mein Leben in ein „davor“ und in ein „danach“ schneidet. Der Blick des Arztes, die Diagnose, der Moment, in dem das Leben auf der Überholspur brutal eingebremst wird. Von zweihundertfünfzig auf null. Ohne Antiblockiersystem.
Zunächst komplettes Vakuum im Denk- und Fühlapparat. Dann Widerstand: „Ich doch nicht. Das alles muss ein Fehler sein.“ Selbstmitleid setzt irgendwann ein. „Warum ich? Ich möchte mein altes Leben zurück.“ Weitere Tests. Im Wartezimmer sitzen Menschen mit einer ähnlichen Diagnose. Gegenüber von mir ist ein junger Mann zu schwach den Becher in den Wasserständer zu drücken. Das hat etwas in mir verändert. Ich habe akzeptiert, dass ich krank bin. So schwer, dass ich daran sterben kann. Punkt. Keine Ausreden, kein Verdrängen.
Schritt für Schritt nach vorne
Irgendwo in meiner DNA hat sich aus diesem Bewusstsein heraus ein Überlebensprogramm aktiviert. Statt wertvolle Energie mit sinnlosem Grübeln zu verschwenden, ist der Wille wach geworden, wieder gesund zu werden. Ich habe angefangen, mir klar zu machen, was ich beeinflussen kann und was nicht. Ich habe mich über Therapien informiert, meine Ärzte als Mentoren und Berater begriffen und alle Hilfe angenommen, die ich bekommen habe. Und ich habe mir Ziele gesetzt – zurück ins Leben, zu meinen Lieben, zum Team ins Büro und endlich den Master of Wine zu bestehen.
Ich habe buchstäblich mit Tippelschritten angefangen. Zum Ende des Krankenhausflurs. Treppen zu steigen. Fünf, zehn, ein Stockwerk hoch. Dabei ich habe unzählige Tiefpunkte überwinden müssen. Die Nacht vor der Operation. Einsamkeit und Zweifel in der nahezu unerträglichen Stille. Später, in Kabeln und Schläuchen verheddert und neben die Toilette gerutscht. Zu schwach, um alleine aufzustehen. All das hat mich Demut und Dankbarkeit gelehrt für die Hände, die mich in solchen Situationen immer wieder aufgefangen und aufgerichtet haben. Aber es hat auch das Vertrauen in mich selbst gestärkt. Das Unveränderbare anzunehmen und trotzdem zu gestalten.
Nach einigen Wochen war ich wieder bei meinen Lieben, nach drei Monaten war ich zurück im Büro. Im folgenden Jahr habe ich die zunächst die theoretische und danach praktische Prüfung zum Master of Wine bestanden. Ich bin wieder vollständig gesund. Weil mir unglaubliche viele nahe und ferne Menschen unglaublich geholfen haben. Aber auch, weil ich akzeptiert habe, dass es nie die perfekte Situation gibt ebenso wenig wie das Recht darauf, dass es uns immer und zu jeder Zeit gut geht. Ich habe meine Diagnose angenommen und damit den Grundstein gelegt, die Dinge zum Bessern zu wenden. Diese Zuversicht trägt mich bis heute.
Ostern im Blick
Und damit bin ich bei Ostern und Corona. Wie für das Osterfest, bei dem wir die Auferstehung nach Tod und scheinbarer Ausweglosigkeit feiern, gilt auch für die derzeitige Situation: Wir alle spüren, dass diese Krise etwas mit uns macht. Doch gerade aus dem Zweifel, der gefühlten Aussichtslosigkeit, die viele Menschen derzeit umtreibt, wird etwas Neues entstehen. Davon bin ich fest überzeugt. Akzeptieren wir das Gefühl des „Ausgeliefertseins“, die laute Stille der Selbstzweifel. Verschwenden wir unsere Energien nicht mit Grübeln, sondern blicken wir nach vorne. Finden wir heraus, was wir ändern können und packen es an. Das Leben nach der Krise wird anders sein, als das vor Corona. Aber Leben ist eben immer „Work in Progress“. Mir hilft diese Einstellung, und ich hoffe, dass es möglichst vielen Menschen genauso geht.